Dienstag, 10. Juli 2018
10.07.2018 - Lampedusa
Der Leopard
... Unter den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft gibt es so oder so, mit Ehe und bürgerlichem Geld oder ohne, keinen Platz mehr für den Adel; es sei denn als dekorative Hülle. Aber auch das Bürgertum – und hier beginnt die zeitgenössische Brisanz von Tomasis Roman – erweist sich bei aller vulgären Vitalität schon als brüchig und gefährdet durch die Heraufkunft einer organisierten Massengesellschaft, die der Autor am Horizont sieht. Dieses sanfte und ironische, elegische und poetische Buch ist im Kern auch eine Geschichte der Klassenkämpfe; nicht zufällig avancierte es zu einer Lieblingslektüre marxistischer Literaturwissenschaft.
Nur freilich teilte Tomasi di Lampedusa nicht den Erlösungsoptimismus der Marxisten. In der Geschichte wechseln sich die herrschenden Klassen ab; eine jede geht zu Recht zugrunde, aber ohne Humanitätsfortschritt im Ganzen. Der Feudaladel war ungerecht, aber treu und stabil; das dynamische Bürgertum herrscht schon weitaus brutaler, aber seine Ausbeutungstechnik provoziert auch den Aufstand der Massen, die indes an der Macht gewiss nicht erfreulicher sein werden. In den demagogischen Exzessen der italienischen Staatsgründung lässt der Autor schon den Fanatismus der totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts, rechter wie linker Couleur, ahnen.
Insofern schildert das Buch keine Welt von gestern; ohne die Erfahrung von Hitler, Mussolini und Stalin hätte es so nicht geschrieben werden können. Tomasi di Lampedusa begreift das 19. Jahrhundert als Vorgriff auf das 20., als Probelauf kommenden Unheils und kommender Irrtümer – nur freilich mit dem poetischen Vorzug, dass sich dort noch das Verhängnis mit Bitterkeit und Süße, Ironie und mitfühlender Menschlichkeit erzählen lässt.
Übrigens war der Autor ein glühender Bewunderer Stendhals; das stilistische Vorbild ist überall zu entdecken und gibt mit seiner Knappheit und Eleganz dann doch auch ein Zeugnis des 19. Jahrhunderts, das die Feuertaufe der Moderne mühelos überstand. (Zeit)
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